Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Es ist kein Ruhmesblatt, das sich Stadtrat und Stadtverwaltung ans Revers heften können. Die neueste Energie- und Treibhausgasbilanz für Ulm fällt eher bescheiden aus. Da mag die Donaustadt etwa Goldzertifikate des Europäischen Energy Awards vorweisen oder in Rankings vordere Plätze unter den deutschen Großstädten einnehmen. Die Verantwortlichen müssen sich an ihren selbst gesteckten Zielen messen lassen. Sie wollten 2015 den Ausstoß an Treibhausgasen von 2010 bis 2020 um mindestens ein Viertel senken. Geschafft wurden in zehn Jahren nur 15 Prozent. Will die Stadt ihre Ziele bis 2030 nur halbwegs erreichen, bedarf es erheblich größerer Anstrengungen als bisher.
Warum sollen wir Ulmerinnen und Ulmer dies wollen? Ganz einfach: Wir leisten unseren notwendigen Beitrag zur Stabilität der Erdatmosphäre und zur Bewohnbarkeit unseres Planeten. Außerdem:
- verbessert sich die Luftqualität, der Lärm nimmt ab
- die Wohnqualität steigt in Gebäuden mit recycelfähiger Dämmung, dichten Fenstern, kontrollierter Lüftung und erneuerbar produzierter Wärme
- wir erzeugen und verbrauchen eigenen Strom und Wärme. Das spart über Jahre gerechnet weit mehr Geld als die Investitionen kosten.
Denn: Erneuerbare Energien verursachen nur sehr geringe Betriebskosten. Geld nicht unnötig ausgeben, heißt Geld sparen. Das ist nicht nur eine schwäbische Tugend.
Energie aus Sonne, Wind und Umweltwärme sowie die notwendigen Speicher dazu erschließen uns Freiheiten, die wir bisher nicht kannten:
Jede Person erlangt die Freiheit, selbst Elektrizität zu erzeugen, zu nutzen, zu speichern und zu veräußern. Sie gewinnt weitgehende bis komplette Unabhängigkeit von Lieferanten.
Die Gesellschaft als Ganze hat erstmals die Möglichkeit, eine für die Daseinsvorsorge, für den Lebensstandard und die Ökonomie zentrale Ressource selbst zu erzeugen, zu nutzen, zu speichern und zu veräußern oder aus einem Überschuss weitere, umweltschonende Energieträger zu produzieren, zu speichern und im Bedarfsfall einzusetzen.
Die Gesellschaft gewinnt die Freiheit, künftig unabhängig zu sein von Rohstofflieferanten fossiler und anderer Energieträger, seien es andere Staaten oder internationale Konzerne.
Deutschland spart durch den Einsatz erneuerbarer Energien pro Jahr mindestens 100 Milliarden Euro, die das Land für andere Investitionen einsetzen kann.
Durch den kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien wird Elektrizität so preiswert wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Der zentrale Grund: Sonne, Wind und Umweltwärme verlangen für ihre Energielieferung keine Gegenleistung. Sie schicken den Verbrauchern keine Rechnung.
Die zweite Bilanz
Doch zurück zur neuen Bilanz. Ausgangspunkt ist das Klimaschutzkonzept aus dem Jahr 2015. Die Stadt nimmt als Basisjahr für die Treibhausgas-(THG)-Emissionen der Donaustadt das Jahr 2010 bzw. 2013. Pro Kopf und Jahr produzierte jede Ulmerin und jeder Ulmer rund 10,2 Tonnen klimaschädlicher Gase, vor allem Kohlendioxid. Damaliger Beschluss des Gemeinderats: Verringern des THG-Ausstoßes pro Jahrzehnt um 20 Prozent. Bis 2050 sollten pro Nase nur noch 2 Tonnen ausgestoßen werden. Zum verbindlichen Ziel erklärte die Stadt: Reduktion der THG-Emissionen bis 2020 um mindestens 25 Prozent (Gemeinderatsdrucksache 455/15).
Jetzt liegen Zahlen für 2019 vor. Ulmerinnen und Ulmer haben pro Kopf und Jahr rund 8,2 Tonnen an Treibhausgasen in die Atmosphäre geblasen. In absoluten Zahlen: Statt rund 1,225 Millionen Tonnen im Jahr 2010 waren es 2019 rund 1.039 Millionen Tonnen. Eine Abnahme um 15,2 Prozent oder 186 250 Tonnen.
Dies rechnet die Regionale Energieagentur vor, Verfasserin der jüngsten Energie- und Treibhausgasbilanz. Den THG-Ausstoß 2010 hat sie aus den Emissionen der einzelnen Verursacher abgeleitet.
Das bedeutet: Die Stadt hat ihr Ziel verfehlt. Knapp 10 Prozentpunkte hätten noch eingespart werden müssen. Bis 2030 wollte sie vor acht Jahren die Emissionen um mindestens 40 Prozent (rund 490 000 Tonnen) reduzieren.
Doch diese Absicht ist Schnee von gestern. Seit 2022 gelten ehrgeizigere Ziele. Der Stadtrat hat die Ulmer Klimaschutzziele erheblich verschärft und dem novellierten Klimaschutzgesetz Baden-Württembergs angepasst. Sie sind rechtsverbindlich. Die Stadtverwaltung hat sich vor zwei Jahren selbst auferlegt, bis 2035 klimaneutral zu sein.
Zu den Zielvorgaben: Statt um 40 sollen die Triebhausgase bis 2030 um 65 Prozent schrumpfen. Bis 2040 soll die Treibhausgasneutralität erreicht sein. Dies heißt: Innerhalb von 20 Jahren seit 2010 sind die Emissionen um mehr als 796 000 auf 428 000 Tonnen zu senken, pro Jahrzehnt um mehr als 398 000 Tonnen. Da Ulm bis 2019 nur 15 Prozent (rund 186 000 Tonnen) geschafft hat, bleiben in den 2020er Jahren mehr als 609 000 einzusparende Tonnen übrig.
Alle Ulmerinnen und Ulmer stehen daher vor einer sehr anspruchsvollen, aber ökologisch und ökonomisch lohnenden Aufgabe. Sie haben das 2020 ausgegebene Motto der Stadt wörtlich zu nehmen: Tu, was Du kannst! Das gilt auch für die Stadtverwaltung. Sie muss alle Bürgerinnen und Bürger auf diesem Weg mitnehmen. Die Menschen sollten so oft wie möglich gemeinsam handeln, dann lassen sich Veränderungen effizienter und damit preiswerter für alle Beteiligten lösen.
Strom, Wärme, Verkehr – wo ansetzen?
Wer den Ausstoß an Klimaschadgasen auf die großen Verursacher aufteilt, dem wird rasch klar, was passieren muss. Emissions-Spitzenreiter ist der Verkehr mit mehr als 300 000 Tonnen. Er hat sein Sparziel mit einer Abnahme von 1,4 Prozent gegenüber 2010 völlig verfehlt. Ihre Hausaufgaben im ersten Jahrzehnt gemacht haben Gewerbe, Handel und Dienstleister. Ihre Emissionen reduzierten sich um 33 Prozent, gefolgt von den privaten Haushalten mit fast 23 Prozent Einsparung. Die Industrie kann mit solchen Daten nicht aufwarten. Sie minderte ihre Emissionen um knapp 2,4 Prozent. Ursache dafür sieht die Regionale Energieagentur allerdings in einer deutlichen Zunahme an Arbeitsplätzen in dem Bereich. Allein die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten haben in Ulm um 17,7 Prozent zugelegt.
Die städtischen Ziele
Im Strombereich sah die Stadt 2015 das größte Potenzial der Einsparung von 180 000 Tonnen. Die Ziele:
- private Haushalte sollen Ökostrom beziehen (110 000 Tonnen)
- die Effizienz der Stromproduktion soll steigen (15 000 Tonnen)
- Ausbau von Solarstromanlagen (26 000 Tonnen)
- Strombezug von Windrädern, die im Alb-Donau-Kreis stehen sollten (3 500 Tonnen)
- Einsparungen durch Senken des Stromverbrauchs (25 000 Tonnen)
Zum Solarstromausbau hat sich die Stadt immer wieder neue Ziele gesteckt. 2015 wollte sie die Produktion von Solarstrom im Jahr 2030 auf 60 GWh (1 GWh=1 Million Kilowattstunden) im Vergleich zu 2013 verdoppeln. Im Juni 2020 hat sie das Ziel auf 100 GWh erhöht, um zwei Jahre später die Marke auf 200 GWh zu steigern.
Im Wärmesektor setzten die Stadtverantwortlichen auf:
- Wechsel der Heizungen und Energieträger, Ausbau Solarthermie (Erzeugung von Warmwasser durch Sonnenkollektoren), Heizungen durch hydraulischen Abgleich technisch optimieren (110 000 Tonnen)
- Energetische Sanierung der Wohn- und Nichtwohngebäude (45 000 Tonnen)
- Einsparung durch richtiges Heizen, Lüften und Raumtemperatureinstellung (15 000 Tonnen)
Als Leitsätze gab sich die Stadt, den Wärmebedarf der Haushalte bis 2030 ohne Heizöl und zu 10 Prozent regenerativ zu gestalten. Zur energetischen Sanierung hieß die Maßgabe, den mittlere Wärmebedarf des Gebäudebestandes um mindestens ein Prozent zu senken.
Im Verkehrsbereich plante die Stadt eine THG-Reduktion von 146 000 Tonnen durch:
- schärfere Emissionsgrenzwerte der EU für Pkw und Lieferwagen (93 000 Tonnen)
- Halbieren des Individualverkehrs in der Stadt, Bau der Straßenbahnlinie 2 (48 000 Tonnen)
- eine eingesparte Pkw-Fahrt pro Woche (5000 Tonnen), da jeder vermiedene Kilometer Pkw-Fahrt die Emission der THG um 200 Gramm senke (jeder Lkw-Kilometer 800 Gramm.
Die Sektorenbilanz
In allen großen Verbrauchssektoren Strom, Wärme und Verkehr hat die Stadt ihre Klimaschutzziele gerissen, zum Teil fast komplett.
Bei der Stromerzeugung sieht die Bilanz noch relativ gut aus. Die Treibhausgase haben sich um rund 140 000 Tonnen reduziert. Einen Anteil daran haben die Strom- und Wärme-produzierenden Kraftwärmekopplungsanlagen der Stadtwerke und der Fernwärme Ulm GmbH (FUG), wobei ihr Strom nur zum Teil mit Erneuerbaren Energien erzeugt wird. Welchen Anteil diese Anlagen an der Reduktion haben, beziffert die jüngste Bilanz leider nicht.
Die Stromerzeugung durch Wasserkraft, Photovoltaik-(PV)-Anlagen, den biogenen Anteil am Hausmüll sowie Bio- und Deponiegas tragen ihren Teil zur Reduktion der Klimaschadgase bei. Der Anteil Erneuerbarer Energien an der lokalen Stromerzeugung liegt bei 17 Prozent. (Die Regionale Energieagentur spricht von 21 Prozent. Auf Basis ihrer Zahlen lässt sich dies aber nicht exakt nachvollziehen und den einzelnen Bereichen zuordnen.)
Welche Rolle Effizienzmaßnahmen in Industrie, Gewerbe, Handel und bei Dienstleistern an der Reduktion spielen, lässt sich allenfalls aus den Daten zum Endenergieverbrauch nachvollziehen. Die Stromerzeugung aus PV-Anlagen hat sich in zehn Jahren von 15,5 GWh auf maximal 42,3 GWh fast verdreifacht, lieferte aber einen bescheidenen Beitrag am Ulmer Gesamtstrombedarf von 4,7 Prozent. In Deutschland erzeugten Solaranlagen vor 5 Jahren bereits 9 Prozent der gesamten Strombedarfs.
Laut aktuellen Daten des Marktstammdatenregisters der Bundesnetzagentur, in der alle PV-Anlagen registriert sein müssen, erzeugen Solarstromanlagen in Ulm etwas mehr als 71 GWh Strom pro Jahr. Auf lediglich 18 der rund 800 Gebäude der Stadt wird Solarstrom gewonnen. Die Stadtwerke betreiben 7 Anlagen. Der große Rest gehört Unternehmen, Gewerbetreibenden, Händlern, Dienstleistern und Privatleuten. Der Ausbau der PV-Anlagen ist erheblich zu beschleunigen, will Ulm sein Ziel für 2030 erreichen. Die Stadtverwaltung ist von ihrem Ziel, bereits 2035 klimaneutral zu werden, weit entfernt.
Der Umstieg aller Haushalte auf Ökostrom hat nicht stattgefunden. Wie viele Privatleute zurzeit Ökostrom beziehen, wird in der Bilanz nicht dargelegt. Mögliche Windkraftanlagen, die im Alb-Donau-Kreis Strom für Ulm produzieren sollten, werden ebenfalls nicht erwähnt. Dieses Ziel steht nach wie vor nur auf dem Papier.
Im Wärmesektor sind die THG-Emissionen in zehn Jahren nur um gut 48 000 Tonnen geschrumpft. Da spielt die Umstellung der FUG von Kohle- auf Altholz- und Erdgasverbrennung eine wesentliche Rolle. Die Regionale Energieagentur führt aus, dass 57,5 Prozent des Wärmebedarfs (933 von 1623 GWh) lokal erzeugt wurde. Davon stammten 34 Prozent (555 GWh) aus „erneuerbaren und primärschonenden Energien“. Natürlich sind Kraftwärmekopplungsanlagen sehr effizient. Sie aber mit erneuerbaren Energiequellen gleichzusetzen, lässt sich auch rechtlich nicht nachvollziehen. Aus den vorgelegten Daten zur Energiebilanz 2019 ist jedenfalls nicht ersichtlich, mit welchem Anteil erneuerbare Quellen oder fossile Brennstoffe wie Erdgas und Heizöl zur sogenannten primärschonenden Wärmeerzeugung beitragen.
Die FUG verbrennt in ihren zwei Heizwerken pro Jahr bis zu 188 000 Tonnen Altholz. Dieses gilt zwar offiziell als erneuerbare Energiequelle. Doch bei dieser sogenannten thermischen Verwertung kann nicht sichergestellt werden, dass so viele Bäume nachgepflanzt werden, wie an Holz aus Containern der Recyclinghöfe verbrannt wird. Zudem ist Holz ein viel zu wertvoller Rohstoff, um ihn etwa nach einmaligem Gebrauch zu verfeuern. Experten betonen, dass Jahrzehnte vergehen, bis das durch Verbrennen entstandene Kohlendioxid wieder in Bäumen gespeichert ist. Wer die Entwicklung des Klimawandels im Auge behält, weiß: Diese Zeitspanne haben wir nicht, wenn wir ihn aufhalten wollen. Im Gegenteil: Die heißeren und trockeneren Sommer setzen den Wäldern auch bei uns massiv zu. Viele Bäume überleben den Trockenstress nicht.
Strittig ist auch, ob das Verfeuern von Holz nicht mehr THG freisetzt, als die Holzwirtschaft behauptet. Wolfgang Lucht vom Potsdamer Klimafolgenforschungsinstitut sagt, pro gewonnene Energieeinheit produziert Holz doppelt so viel Kohlendioxid wie Kohle, doppelt so viel wie Öl und dreimal so viel wie die Gasverbrennung.
In gewissem Umfang haben Ulmerinnen und Ulmer ihre Heizungen erneuert. Wie viele von Strom (Nachtspeicheröfen), Heizöl oder Erdgas auf Erneuerbare Energiequellen umgestellt haben, ist kein Thema in der Bilanz. Gemäß der jüngsten Auswertung des städtischen Förderprogramms gab es seit 2017 für 137 solcher Vorhaben Zuschüsse. Wie stark die Einwohnerinnen und Einwohner ihre Heizungen technisch optimiert oder ihr Heizverhalten geändert haben, um Treibhausgase einzusparen, klingt nach einem Ziel, das kaum zu verifizieren sein dürfte.
Keine Angaben liefert die Bilanz zur energetischen Sanierungsrate der Ulmer Häuser innerhalb der vergangenen zehn Jahre, auch nicht zu städtischen Gebäuden. Sie dürfte allenfalls bei einem Prozent pro Jahr liegen.
Verkehr: In diesem Sektorist in punkto Treibhausgas-Reduktion nichts passiert. Im Gegenteil. Es wird mehr Kohlendioxid ausgestoßen, obwohl die EU die Emissionsgrenzwerte verschärft hat. Es gehört wohl heute zum Allgemeinwissen, dass die Menschen sich tendenziell größere und schwerere Fahrzeuge angeschafft haben. Dies hat die Vorgaben zum geringeren Spritverbrauch kompensiert. Den Rest erledigten die Autobauer durch den Abgasskandal, das illegale Abschalten der Kohlendioxid-Abgasreinigung. Und der Lieferverkehr hat auch schon vor der Corona-Pandemie zugenommen.
Das Ziel der Stadt, den motorisierten Individualverkehr in 20 Jahren zu halbieren, was im ersten Jahrzehnt eine spürbare Abnahme des Pkw-Stadtverkehrs bedeutet hätte, hat sich genauso wenig realisiert, wie der Verzicht aller Ulmerinnen und Ulmer mit Führerschein auf eine Autofahrt pro Woche. Wie viele Umsteiger auf öffentliche Verkehrsmittel der Bau der Straßenbahnlinie 2 gebracht hat, müsste noch untersucht werden. Verkehrspolitisch war dies eine sinnvolle Investition in die Zukunft.
Fazit:
Die Regionale Energieagentur misst die Bilanzzahlen von 2019 nicht an den Zielen, die sich die Stadt in zahlreichen Beschlüssen gegeben hat. Die Stadtverantwortlichen loben gern ihre Anstrengungen im Klimaschutz. Natürlich ist die Stadt nicht untätig. Hervorzuheben ist etwa, dass sie seit 1991 Ulmerinnen und Ulmer mit Fördermitteln beim Umstieg auf erneuerbare Energien, einen effizienteren Energieeinsatz oder energetische Gebäudesanierung unterstützt. Da sie jedoch viele ihrer Absichten nicht erreicht hat, ist sie aufgefordert, den Klimaschutz erheblich stärker voranzubringen. Wenn die Regionale Energieagentur in ihrer Bilanz dennoch von einem „hohen Anstieg im Bereich der nachhaltigen Energiebereitstellung u. a. im Bereich Nah-/Fernwärme sowie der regionalen Strom- und Wärmegewinnung“ spricht, mag dies im Vergleich zu anderen Großstädten zutreffen. Gemessen an den Beschlüssen des Stadtparlaments sind die Chancen und Potenziale nur minimal realisiert worden. Dabei sind sie gerade in Ulm besonders gut und vielfältig, wie die Potenzialanalyse des früheren Klimaschutzkonzepts und des kommunalen Wärmeplans eindrucksvoll zeigen. Das muss die Messlatte sein, auch für das angekündigte neue Klimaschutzkonzept, das die Stadt 2024 vorlegen will. Es sollte unbedingt um einen Klimaaktionsplan mit klaren, erreichbaren Zielen ergänzt werden, um künftig konkret bilanzieren zu können, ob sich Vorhaben realisiert haben.
Potenziale und Möglichkeiten
Strom
Das Klimaschutzkonzept 2015 hat in Ulm fast 30 000 der 42 000 Gebäude für gut geeignet gehalten, um dort Sonnenstrom zu produzieren. Bei heute effizienteren Modulen ließen sich da mindestens 500 GWh Strom pro Jahr erzeugen. Das ist bereits mehr als die Hälfte des gesamten Ulmer Stromverbrauchs. Auf Freiflächen entlang von Verkehrswegen lässt sich ebenfalls Solarstrom gewinnen. Dies gilt auch für Parkflächen und Überdachungen. Zusammen wären da nochmals mehr als 70 GWh an Stromertrag pro Jahr möglich, so das frühere Konzept.
Nach der Stromstudie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE (Freiburg) im Auftrag der Industrie- und Handelskammer Baden-Württemberg vom Januar 2024 könnten allein mit PV-Anlagen auf Ulmer Dächern mehr als 80 Prozent (736 GWh) des aktuellen jährlichen Stromverbrauchs der Stadt produziert werden.
Die Stadtwerke Ulm produzieren jährlich mindestens 100 GWh Strom durch Wasserkraft. Die Stromproduktion durch Windkraft auf eigenem Gebiet schloss die Stadt viele Jahre lang aus. Sie trieb aber auch die Kooperation mit dem Alb-Donau-Kreis nicht voran. Dort könnten 30 bis 45 Windräder errichtet werden und bis zu 280 GWh Strom pro Jahr erzeugen, befand das Klimaschutzkonzept 2015. Zusammen mit der vorhandenen regenerativen Stromerzeugung könnte mindestens so viel Strom gewonnen werden wie jährlich verbraucht wird.
Würden nur die für Sonnenstrom geeigneten Dächer mit PV-Anlagen bestückt (Potenzialabschätzung 2015), könnte die Bevölkerung in Ulm pro Jahr rund 100 Millionen Euro sparen. Pro Person wären dies eingesparte 775 Euro. Bei 700 GWh wären es bereits mehr als 1000 gesparten Euros pro Kopf und Jahr.
Eine Milchmädchenrechnung? Mitnichten. Rund 10 Cent kostet der mit Solarmodulen erzeugte Strom. Bei einem durchschnittlichen Strompreis in Deutschland von 30 Cent bleiben pro Kilowattstunde 20 Cent im Geldbeutel. Dies ist nur eine Überschlagsrechnung. Meist produzieren die Dachanlagen mehr Elektrizität. Diese Überschüsse könnten die Stadtwerke als Netzbetreiber an der Strombörse verkaufen, den Erlös an die Stadt abtreten. Sie könnte die Gelder in die überfällige energetische Sanierung von Schulen und Kindergärten stecken, Kultur und Sport stärker fördern. Dass dies genau so funktionieren kann, zeigen längst kleinere Kommunen etwa im Allgäu.
Jede GWh Solarstrom reduziert die Treibhausgas-Emissionen zusätzlich um 500 Tonnen pro Jahr (gerechnet mit aktuellem bundesweitem Strommix). Und: 500 mal 500 macht 250 000 Tonnen. Schon rücken die in Ulm anvisierten Klimaschutzziele erheblich näher.
Zwei Möglichkeiten bringen den Ausbau von Solarstromanlagen zügig voran und verbreitern die kostensparende Teilnahme an der Energiewende vor allem auch auf die Bürgerinnen und Bürger, denen die hohen Mietnebenkosten weh tun.
- Deutschland setzt die EU-Richtlinie aus dem Jahr 2018 zu Erneuerbaren Energien komplett um und ermöglicht die Gründung Erneuerbarer Energiegemeinschaften. Da schließen sich Privatleute oder Firmen in ihrem Umfeld zusammen, um gemeinsam Strom zu erzeugen, zu speichern, zu verbrauchen und, bei Überschuss, an einem Übergabeort ins Stromnetz einzuspeisen und zu verkaufen. An die Gründung solcher Gemeinschaften sind keine Anforderungen gestellt. Sie können sich über Verträge oder in Vereinen organisieren. Der Staat fördert solche Gemeinschaften, indem er ihnen Steuern und Abgaben auf den eigen produzierten Strom erlässt.
- Vermieter, die Eigentümergemeinschaft eines Mehrfamilienhauses oder dritte Anbieter lassen auf das geeignete Dach ein passendes Gestell für Solarmodule mit Kabelanschlüssen montieren. Jeder Mieter oder Wohnungseigentümer kann dort mit selbst erworbenen Modulen Strom erzeugen und in seiner Wohnung verbrauchen. In den meisten Gebäuden haben die einzelnen Wohneinheiten inzwischen eigene Stromzähler, so dass der Stromverbrauch abgelesen werden kann. Überschüsse speisen Vermieter oder Eigentümergemeinschaften ins Stromnetz ein. Zieht ein Mieter aus, kann er seine Module mitnehmen, um sie in der nächsten Wohnung weiterzuverwenden. Können sich Mieter aus sozialen Gründen keine Module kaufen, hilft ihnen die Kommune beim Erwerb. Das reduziert die Stromkosten und den Stromkostenzuschuss für Bedürftige.
Das bisherige Konzept des Mieterstrommodells in Deutschland funktioniert nicht, da der Vermieter alle Rechte und Pflichten eines Energieversorgers übernehmen muss. Beispiel Ulm: Die Stadtwerke bieten laut Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur selbst als Stromversorger nur in einem Ulmer Gebäude Mieterstrom an.
Erhebliche Einsparpotenziale bietet auch die Erzeugung von Heiz- und Warmwasser auf Basis erneuerbarer Energien. Natürlich müssen Bürgerinnen und Bürger für Energie- und Wärmewende Geld in die Hand nehmen. Vor allem mit Anlagen, die sehr geringe Betriebskosten aufweisen, also Energiequellen nutzen, die auf vorhandenen natürlichen Prozessen oder Umweltwärme beruhen, sparen die Menschen mittelfristig deutlich mehr Geld als sie jetzt für Strom und Wärme ausgeben. Rund 70 Milliarden Euro kostet Deutschland der Import von Öl, Gas und Kohle im Jahr, Finanzmittel, die man besser in den Bildungsbereich investiert.
Vergleiche mit Land und Bund
Die aktuelle THG- und Energiebilanz vergleicht die Ulmer Daten wie bereits zuvor die erste Zwischenbilanz des ifeu-Instituts mit Durchschnittszahlen aus Baden-Württemberg und Deutschland. Dabei liegen die THG-Emissionen in Ulm über dem Landesschnitt, aber unter dem Bundesschnitt für 2019. Die THG-Emissionen der privaten Haushalte pro Einwohner stellt sich laut Regionaler Energieagentur besser dar als in Land und Bund. Als Grund verweisen die Autoren auf den Wärmemix in Ulm, der mit einem großen Anteil an kohlendioxidarmen Energieträgern erzeugt werde. Hier geht es stets um die einmalige Umstellung der FUG von Kohle als Energieträger auf Altholz, Erdgas und leichtes Heizöl sowie die Kraftwärmekopplung. Ein Umstieg auf wirklich nachhaltige Energiequellen ist das nicht.
Beim Anteil erneuerbarer Energiequellen an der Strom- und Wärmeerzeugung landet Ulm bei der Elektrizität mit 22,1 Prozent deutlich unter dem Bundes- und Landesschnitt (42,1 und 31 bzw. 26,5 Prozent). Beim Einsatz Erneuerbarer Energie im Wärmebereich punktet Ulm durch die Fernwärmeversorgung und liegt mit 34,2 Prozent über den Bundes- und Landeswerten (14,7 und 15,2 Prozent). Dies liegt vor allem an der Holzverbrennung in den FUG-Heizwerken.
In Privathaushalten benötigen alle Ulmerinnen und Ulmer weniger Energie als die Menschen im Schnitt in Land und Bund. Gegenüber 2016 ist der Energieverbrauch aber leicht (+5,2 Prozent) gestiegen. Im Verkehr brauchen die Menschen in Ulm mehr Energie als im Schnitt in Land und Bund. Auch da nahm der Energiebedarf pro Person im Vergleich zu 2016 um knapp fünf Prozent zu.
Details für besonders Interessierte
Fast unverändert blieb in den 2010er Jahren der Endenergieverbrauch in Ulm (im Jahr 2013 waren es 3509 GWh, 2019 sind es 3480 GWh). Das gilt vor allem für den Verkehrssektor. Im Vergleich zur ersten Zwischenbilanz 2016, vorgelegt vom Heidelberger ifeu-Institut, erhöhte sich der Kraftstoffverbrauch um gut 11 Prozent. In den privaten Haushalten nahm der Energieverbrauch von 2010 bis 2019 um knapp 23 Prozent ab, im Gewerbe, Handel und bei Dienstleistern um fast 15 Prozent. Eine kräftige Zunahme von 46 Prozent ist im verarbeitenden Gewerbe zu verzeichnen (Anstieg der Beschäftigten). In den kommunalen Liegenschaften stieg der Energieverbrauch seit 2016 um mehr als 15 Prozent. Im Klimaschutzkonzept 2015 waren sie nicht extra aufgeführt.
Beim Verbrauch nach Energieträgern ist im Vergleich 2010 zu 2019 wenig passiert. Lediglich das Heizen mit Öl hat um fast 42 Prozent abgenommen, während nur vier Prozent weniger Erdgas verbrannt wurde. Der Stromverbrauch hat hingegen um ein Prozent zugelegt, während die Ulmerinnen und Ulmer 6,1 Prozent mehr Kraftstoffe verbrauchten.
Bilanzprobleme
Merkwürdig ist, dass die Referenzzahl für den THG-Ausstoß im Jahr 2010, den die Regionale Energieagentur für ihre Analyse verwendet hat, bisher in keiner Darstellung zu den gesamten THG-Emissionen aufgetaucht ist. Das Heidelberger ifeu-Institut, das die Klimaschutzbilanz für 2016 erarbeitet hat, ging für 2010 von rund 1,2 Millionen Tonnen Treibhausgas-Ausstoß aus. Daraus ergibt sich eine Abnahme bis 2019 von 13,4 Prozent. Die Stadt hatte sich in der Gemeinderatsdrucksache zum Klimaschutzkonzept 2015 auf 1,195 Millionen Tonnen als Referenzzahl mit der Anmerkung festgelegt, die Emissionen seien seit 2007 auf dem gleichen Niveau. Da läge die THG-Reduktion 2019 bei lediglich 13 Prozent.
Die Stadtverwaltung ist daher gut beraten, eine gültige Referenzzahl für die THG-Emissionen im Jahr 2010 zu benennen, um unnötige Verwirrung zu vermeiden und künftige Bilanzen nachvollziehbar zu gestalten. Bei den Angaben zur Wärmeerzeugung aus Erneuerbaren Energien verweist die jüngste Bilanz auf deren verstärkte Nutzung. Die THG-Emissionen stiegen jedoch an. Ein Widerspruch.
Beim Vergleich mit Durchschnittswerten aus Baden-Württemberg und Deutschland müssten die Autoren der Bilanzen die Datenquellen nennen, die sie benutzt haben. Dann lässt sich nachvollziehen, wie sie zu ihren Ergebnissen gekommen sind. Die in dieser Analyse genannten überregionalen Daten stammen vom Umweltbundesamt und Bundeswirtschaftsministerium bzw. dem Statistischen Landesamt sowie dem baden-württembergischen Umweltministerium.